1) VERFASSTE STUDENTENSCHAFT
Die Verfasste Studentenschaft muss ‑ neben Baden‑Württemberg und Bayern ‑ in den neuen Bundesländern gesetzlich verankert werden.
Die Studentische Selbstverwaltung ist ein wesentlicher Bestandteil der Autonomie der gesamten Hochschule ‑ Freiheit der Forschung und Lehre muss auch einhergehen mit der Freiheit zur größtmöglichen Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit. Nachdem die FDJ vierzig Jahre lang des Monopol der studentischen Interessenvertretung innehatte, muss sich nun eine Vielfalt der studentischen Gruppen und hochschulpolitischen Überzeugungen etablieren können.
Der miserable Ausrüstungs‑ und Erhaltungszustand der Hochschulen der ehemaligen DDR muss schnellstmöglich behoben werden. Hier können über Sonderprogramme zur Versorgung mit den dringendsten Lehrmitteln (technisches Gerät, Bücher ..) hinaus nur langfristige hohe Finanzzusagen Abhilfe schaffen. Als Beispiel praktischer Hilfe von westlicher Seite sind Hochschulpartnerschaften praktikabel, die z.B. die Versorgung mit Fachliteratur oder gar nach dem Modell der „fliegenden Fakultäten“ die Aufgabe der Lehre für ganze, in sich geschlossene Studiengänge übernehmen. Zur Entlastung des Lehrpersonals sollte der wissenschaftliche Mittelbau im Osten stärker gefördert werden. Die durch die Vergangenheit relativ unbelasteten wissenschaftlichen Mitarbeiter sollten im wechselseitigen Austausch mit dem Mittelbau aus dem Westen in ihrer Laufbahn gefördert werden. Nur klare Perspektiven für die Personengruppe verhindern die übermäßige Abwanderung an westliche Universitäten. Weitere Maßnahmen zur Sicherstellung eines Lehrangebots nach westlichem Maßstab sind Intensivkurse, die z.B. in der vorlesungsfreien Zeit von emeritierten Westprofessoren abgehalten werden können. Darüber hinaus sollte der Bund durch besondere Programme die Bereitschaft westdeutscher Privatdozenten fordern, eine Professur an einer ostdeutschen Hochschule zu übernehmen.
2) FREIER HOCHSCHULZUGANG
Beim Aufbau einer differenzierten Hochschullandschaft in den fünf neuen Bundesländern ist besonders darauf zu achten, dass die Freiheit des Hochschulzuganges und der Wahl des Studienortes weitestgehend sichergestellt wird. Nach über 40 Jahren parteipolitisch‑ideologisch reglementierten Studiums unter dem alten Regime müssen nun alle Studierwilligen die Chance haben, ihr Recht auf eine Ausbildung nach individueller Neigung und Begabung wahrzunehmen.
Obwohl in absehbarer Zeit die Nachfrage nach Studienplätzen größer sein wird als das vorhandene Angebot, darf der Numerus Clausus kein Mittel zur Kanalisierung der Studentenströme sein. Falls unbedingt nötig, sollen der Hochschule vielfältige Mittel zur Auswahl der Studierenden zur Verfügung gestellt werden. Denjenigen, die vom alten System in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt wurden oder denen ein Studium gänzlich versagt war, muß ein Studiengangwechsel bzw. der Einstieg ins Studium besonders erleichtert werden.
3) ERWEITERUNG DES STUDIENANGEBOTES
Die bisherige geringe Palette an Fachrichtungen muss entsprechend den modernen Anforderungen unserer Industriegesellschaft zu einem vielfältigen und differenzierten Studienangebot ausgeweitet werden. Einhergehend mit der ansteigenden Quantität muss auch ein Konzept für ein klares wissenschaftliches Profil der Hochschulen bezüglich der Qualität von Lehre und Forschung erarbeitet werden. Bei der Neufestlegung des Fächerzuschnitts müssen gerade die Geisteswissenschaften ausreichend berücksichtigt werden es gilt die Gefahr einer Neustrukturierung nach kurzfristigen, rein marktstrategischen Gesichtspunkten abzuwehren. Gerade angesichts der notwendigen Aufarbeitung gesellschaftlicher Vorgänge und der eigenen Geschichte kommt den Geisteswissenschaften eine bedeutende Rolle zu. Gerade in diesem Bereich sollten nicht ungeprüft Studienordnungen westlicher Universitäten übernommen werden. Vielmehr muss die Chance genutzt werden, auf „alte Zöpfe“ zu verzichten und statt dessen ein zukunftsorientiertes geisteswissenschaftliches Studium zu gestalten.
Es sollte im Rahmen der Hochschulreform eine Konzentration der Hochschulen auf bestimmte Standorte erfolgen, an denen dann ein breiter Fächerzuschnitt, d.h. mehrere Fakultäten, angeboten werden kann. Die Zusammenlegung von bisher kleiner Hochschulen soll eine leistungsfähige Einheit schaffen, die den Studierenden die Chance zur Interdisziplinarität bietet.
An allen Hochschulen muss die strukturelle Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass die Studierenden ein konzentriertes und effektives Studium in angemessener Zeit durchführen können. Dabei sollte man sich an den dort sicher vorhandenen stringent aufeinander aufbauenden Studiengängen orientierten ‑ ohne deren Nachteile wie z.B. die Verschulung zu übernehmen.
4) AUFBAU VON FACHHOCHSCHULEN
Der Aufbau von Fachhochschulen in den neuen Bundesländern muß dazu genutzt werden, das System der praxisbezogenen Ausbildung über den bislang im alten Bundesgebiet bekannten Fächerkanon auszudehnen.
Zudem sollte von Beginn an die Forschungsarbeit der Dozenten im Vergleich zu ihren westlichen Kollegen vereinfacht werden, um die Anbindung des wissenschaftlichen Lehrstoffes an den neusten Erkenntnisstand zu gewährleisten.
5) PERSONALPOLITIK
Die Opfer des DDR‑Regimes an den Hochschulen müssen rehabilitiert werden.
Alle Lehrstühle müssen neu ausgeschrieben werden; die derzeitigen Lehrstuhlinhaber nehmen bis zur endgültigen Besetzung ihre Dienstpflichten in vollem Umfang (Abnahme von Prüfungen etc.) weiter wahr. Selbstverständlich können sich auch die derzeitigen Lehrstuhlinhaber bewerben. Bei gleicher Qualifikation der sich bewerbenden Professoren und Dozenten sollten diejenigen Vorrang haben, die bereits an der jeweiligen Hochschuleinrichtung einen Lehrstuhl inne hatten.
Die endgültigen Berufungen sollen bis 1994 erfolgen. Sie haben nach den in der Bundesrepublik üblichen wissenschaftlichen Kriterien zu erfolgen. Die Berufungskommissionen sollen nach den in der Bundesrepublik bislang üblichen Statusgruppenschlüsseln zusammen gesetzt sein, und zwar je zur Hälfte mit Vertretern der betroffenen Hochschule und zur anderen Hälfte mit Vertretern aus den alten Bundesländern. Sie könnten von z.B. Partnerhochschulen, Studentenwerken, Studentenverbänden entsandt werden.
Die Übernahme von Professoren der neuen Bundesländer ins Beamtenverhältnis darf nur nach erfolgreich absolvierten Durchlaufs eines regulären neuen Berufungsverfahrens erfolgen.
6) ABWICKLUNG
Die letzten Monate haben bewiesen, dass das Tempo der durchgeführten Reformprozesse der Universitäten in den neuen Bundesländern hinter dem zurückbleibt, was für eine qualitative Angleichung der Lehre und Forschung an bundesdeutschen Standard erforderlich wäre. Daher begrüßt der Bundesverband Liberaler Hochschulgruppen die Entscheidungen der jeweiligen Landesregierungen in den neuen Bundesländern und Berlin zur Abwicklung von ideologiebelasteten Fachbereichen und Institute.
Diese Abwicklung darf allerdings nicht zu Lasten der Studierenden gehen; eine Abwicklung des Studiums muss in jedem Fall sichergestellt werden.