1. Kurzanalyse der gegenwärtigen Probleme
Die gegenwärtige Form der Juristenausbildung leidet an den folgenden bekannten Grundproblemen:
- zu lange Ausbildungszeiten
- zu umfangreicher Prüfungsstoff aufgrund einer echten all-round-Orientierung am Leitbild des sog. Einheitsjuristen
- Fehlorientierung hinsichtlich des Ausbildungsziels: 100 % aller Absolventen müssen eine Ausbildung für den Staatsdienst, orientiert am Berufsbild des Richters, durchlaufen, obwohl nur eine Minderheit von weniger als einem Drittel tatsächlich in den Staatsdienst eintreten kann
- aus dem Letztgenannten resultierend Staatsprüfungen, die die Verantwortungseinheit für die Inhalte von Ausbildung und Prüfung zerstören, und eine einheitliche Staatssprache Praxisausbildung (Referendariat), bei der Kapazitätsmangel zusätzliche Wartezeiten verursacht.
2. Grundlegende Prämissen einer Reform
Eine Reform der Juristenausbildung muss deshalb – anders als ihre sogenannten Vorgängerinnen in den Siebzigern und Achtzigern – von folgenden Prämissen ausgehen:
Erstens muss eine Restrukturierung des prüfungsrelevanten Ausbildungsstoffes und damit des Prüfungsstoffes durch Reduzierung des Pflichtfachkatalogs auf die Grundlagen erfolgen. Dies ist zu kombinieren mit verstärkten Wahlrechten des Absolventen hinsichtlich des über den Pflichtfachkatalog hinausgehenden Stoffes, wodurch die Möglichkeit zur partiellen Spezialisierung bereits im Rahmen der akademischen Ausbildung eröffnet wird.
Zweitens muss eine Abkehr von der gegenwärtigen Orientierung am Berufsbild des Richters erfolgen. Diese stimmt mit den praktischen Gegebenheiten nicht überein. Daraus folgt zugleich das Postulat nach der Abschaffung der obligatorischen Staatsprüfungen und des zwangsweisen Referendariats als richterbildorientierter Praxisausbildung.
3. Strukturentscheidungen des Reformmodells
Unser Modell einer reformierten Juristenausbildung basiert auf den folgenden Strukturentscheidungen:
Gliederung der Ausbildung in ein akademisches Studium und eine eventuelle anschließende Praxisphase
Ausrichtung der Praxisphase als Ausbildung in einem spezifischen Berufsfeld, d.h. keine einheitliche obligatorische Praxisausbildung nach Art des gegenwärtigen Referendariats mehr für alle Absolventen
Unterteilung der akademischen Ausbildung in eine allround-orientierte Grundstudiumsphase nach gegenwärtigem Muster, die durch eine Zwischenprüfung abgeschlossen wird, und eine Vertiefungsstudiumsphase mit Schwerpunktsetzung nach Wahl des Absolventen
Abschluss der akademischen Ausbildung mit einer akademischen Diplomprüfung unter Abschaffung der obligatorischen Staatsprüfungen
Abschlussqualifikation der Praxisphase kann vom jeweiligen Arbeitgeber ausgestaltet und verlangt werden, ist also nicht generell obligatorisch, insbesondere nicht für Absolventen der anwaltsbezogenen Praxisphase.
4. Einzelheiten des Reformmodells
Daraus ergeben sich folgende Einzelpunkte:
I
Das Grundstudium erfolgt in den drei Pflichtgebieten des Bürgerlichen Rechts, des Strafrechts und des öffentlichen Rechts. In ihm werden Übungsscheine in jedem dieser Gebiete durch das Bestehen einer Klausur und einer dreiwöchigen Hausarbeit erworben. Das Grundstudium soll methodisch darauf ausgerichtet sein, den Studenten die Strukturen des Rechts und die juristischen Methoden zur Bewältigung rechtlicher Probleme zu vermitteln. Didaktisch bietet sich insoweit die Normalfallmethode als Strukturierungshilfe an sowie eine an Plausibilität und Vermittelbarkeit, nicht unbedingt an der Systematik der Einzelgesetze ausgerichtete Präsentation des Rechtsstoffes in den Lehrveranstaltungen. Studienbegleitende Arbeitsgemeinschaften zum Erlernen der Fallösungstechnik sind in je dem Semester des Grundstudiums anzubieten.
Das Grundstudium wird durch eine Zwischenprüfung in den drei Pflichtfächern (im Regelfall in Form je einer Klausur) abgeschlossen. Diese kann im Rahmen der Übungen und damit zeitlich entzerrt erfolgen. Die Zwischenprüfung kann nur einmal wiederholt werden. Sie muss im Regelfall bis zum Ende des vierten, im Wiederholungsfall bis zum Ende des fünften Studiensemesters bestanden werden. Für Härtefälle ist eine Sonderregelung zu treffen.
II
Die Regelstudiendauer des Vertiefungsstudiums beträgt fünf Semester.
- Inhaltlich gliedert sich das Vertiefungsstudium in drei Bereiche:
- einen obligatorischen Pflichtfachkatalog in den drei Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Strafrechts und des öffentlichen Rechts;
- einen vom Absolventen bestimmten, prüfungsrelevanten Zusatzbereich in einem dieser drei Fächer (Pflichtbereich und Pflichtzuwahlbereich in diesem Fach ergeben zusammen das sog. Hauptfach);
- ein vom Absolventen aus den angebotenen Möglichkeiten ausgewähltes Wahlfach. Damit ergibt sich ein „Drei‑Topf‑Modell“, das einen tragfähigen Kompromiss zwischen einer einheitlichen Grundausbildung in den Pflichtfächern und den erforderlichen Möglichkeiten einer Spezialisierung bereits im Studium darstellt. Idealiter wählt der Absolvent sein Wahlfach als thematische Ergänzung zum gewählten Hauptfach aus. Er kann sich spezialisieren und wird durch ein starkes Engagement in den ihn interessierenden Bereichen motiviert. Wer seinen Schwerpunkt nach den eigenen Neigungen und Interessen bestimmen kann, wird durch mehr Erfolg im Studium zusätzlich angespornt. Durch die Reduzierung der Pflichtfachanforderungen wird gleichzeitig der Fächerkanon und -katalog“entschlackt“ und auf ein lern- wie prüfbares Maß herabgesetzt. Zum Inhalt der einzelnen Bereiche liegt eine gesonderte Aufstellung bei. Der Pflichtfachkatalog wurde auf die methodisch oder praktisch erforderlichen Rechtsgebiete reduziert. Spezialmaterien wurden weitgehend den Wahlfächern zugewiesen. Soweit spezielle Materien im Pflichtfachbereich belassen wurden, werden sie ausdrücklich als Beispielsfälle für bestimmte Rechtsstrukturen aufgeführt.
- Während des Vertiefungsstudiums finden zwei sechswöchige Praktika bei Stellen nach Wahl des Absolventen statt. Ein Praktikum muss Bezug zum gewählten Hauptfach haben. Im Vertiefungsstudium werden Übungsscheine durch das Bestehen je einer Klausur und je einer dreiwöchigen Hausarbeit in jedem Pflichtfach und im Wahlfach erworben. Die Übungsscheine sind Voraussetzung für die Zulassung zur Diplomprüfung.
III
Zur inhaltlichen und wertigkeitsmäßigen Ausgestaltung der Diplomprüfung liegt ebenfalls eine gesonderte Aufstellung bei. In Anerkennung der gewachsenen Traditionen ist eine alternative Ausgestaltung als Hausarbeiten- oder als Klausurenmodell für jede einzelne Fakultät möglich. Zur Wahrung der formalen Einheitlichkeit der Diplomprüfung innerhalb eines Bundeslandes empfiehlt sich indes eine ländereinheitliche Rahmenregelung, die durch die zuständigen Ministerien im Rahmen der Genehmigung der Prüfungsordnungen der Fakultäten sichergestellt werden könnte. Die Ausgestaltung als akademische Prüfung gewährleistet die bestmögliche Einheit der Inhalte von Lehre und Prüfung. Sie führt zudem zu einer personellen Kontinuität von Lehre und Prüfung und zu einer eindeutigen Zuweisung der persönlichen Verantwortlichkeit an die Hochschullehrer. Die gegenwärtige Anonymität der Staatsprüfungen wird dadurch vermieden.
IV
Ob nach dem Erwerb des akademischen Abschlussdiploms eine Praxisphase erforderlich ist, hängt von den einzelnen Berufsfeldern ab. Bei Juristen, die in die Wirtschaft gehen, ist es bereits jetzt der Fall, daß ihre jeweiligen Arbeitgeber sie ein Trainee-Programm durchlaufen lassen. Daran soll sich nichts ändern. Soweit der Staat als Arbeitgeber besondere Qualifikationen für den Eintritt in den Staatsdienst verlangt, kann er diese in einer staatsdienstbezogenen Ausbildung selber vermitteln und gegebenenfalls in einer autonomen staatlichen Staatsdiensteingangsprüfung abprüfen. Es muß jedoch nochmals betont werden, daß das hier vorgelegte Modell weder eine einheitliche obligatorische Praxispflichtausbildung nach Staatsanforderungen, wie sie in Form des Referendariats gegenwärtig existiert, vorsieht noch eine obligatorische zweite Staatsprüfung für alle Juristen. Wenn nur circa zwanzig Prozent aller Absolventen Eingang in den Staatsdienst finden, müssen eben nicht alle Absolventen dessen Anforderungen erfüllen, sondern nur jene etwa zwanzig Prozent. Diese haben ihre freie Entscheidung ge troffen, sich zum Eingang in den gewünschten Beruf eventuell einer weiteren Prüfung unterziehen zu müssen. Damit müssen nicht alle belastet werden. Eine Besonderheit gilt für diejenigen Absolventen, die den Anwalts oder den Notarberuf ergreifen wollen. Unser Modell sieht für sie eine einjährige praktische Ausbildung zum Anwalt vor, die bei Anwälten erfolgen soll. So erlernen sie in der Praxis die für den Anwaltsberuf nötigen Fähigkeiten. Begleitend finden sog. Akademiekurse bei den Anwaltskammern statt, in denen bestimmte Fragen (z.B. des Kostenrechts) vertieft werden. Während der praktischen Zeit wird der zukünftige Anwalt von seinem jeweiligen Arbeitgeber in Höhe eines an Referendarbezüge angelehnten Gehaltes pro Monat bezahlt; dies erscheint angemessen, da der Arbeitgeber zugleich den Nutzen von der Arbeitskraft des zukünftigen Anwalts hat und ihm dessen Spezialkenntnisse zugutekommen. Die praktische Ausbildung zum Anwalt wird nicht mit einer Prüfung abgeschlossen. Die Kompatibilität zwischen den einzelnen Berufsfeldern kann durch eine generelle Regelung herbeigeführt werden, dass langjährige Tätigkeit in einem juristischen Beruf die praktische Erfahrung für einen anderen vermuten lässt.